Dartmouth
Insgesamt drei Wochen waren wir in England unterwegs, wobei wir zum Ende auf den ersten Höhepunkt unserer Reise stießen: Dartmouth. Nachdem wir uns eine Woche lang von einem Wetterfenster zum nächsten gehangelt haben und dabei jeweils zwischen 10 und vierzig Meilen pro Törn zurücklegten, meinte der Wind es tatsächlich für zwei Tage gut mit uns und wir beschlossen, trotz aller Warnungen Strömung und Gezeiten zu ignorieren und die letzten 150 Meilen bis Plymouth in einem Stück zurückzulegen. Tatsächlich war die Strömung dann auch wirklich gar kein Problem. Mit erstmals Wind schräg von hinten machten wir auch gegen den Strom noch zwischen drei und vier Knoten. Jedoch fiel der Wind um einiges stärker aus, als wir erwartet haben und so wurde diese Tour zu einer der härtesten, die wir bisher erlebt haben. Sowohl Linn Charlotte als auch Paul bekamen mehrmals eine Gratisdusche mit Fußbad im Cockpit und all die Dinge die unten ihren Weg aus den Schränken auf den Boden gefunden haben und nun lustig durch die Gegend purzelten machten das Schlafen in der Freiwache zu einem frommen Wunsch. Aber wir machten Meilen. Vorbei an der Isle of Wight und immer weiter wirkte Plymouth mit nur noch 45 Meilen Entfernung schon greifbar, als der Wind sich dann doch wieder für seinen gewohnten Südwestkurs entschied und so die Umrundung der letzten Landzunge vor dem Ziel unmöglich machte. So kurz davor! Jetzt hieß es nur Hafen suchen. Es ging ein mal mehr schräg gegen an, was uns zeigte, dass wir unser Wasserproblem noch lange nicht im Griff hatten. Ziel war nun Dartmouth, laut Kartenplotter der nächstgrößere Hafen in der Gegend. Zwei Stunden lang standen wir beide im Cockpit und warteten darauf, dass sich am Horizont endlich Land zeigte, während auf dem Plotter die Meilen langsam weniger wurden.
Aber dann, was für ein Anblick! Was für ein Verlust, wenn der Wind uns nach Plymouth gelassen hätte! Grüne Berghänge und zwei Festungsgebäude flankierten die Einfahrt in den „River Dart“ an dessen Ufern sich die Städtchen Dartmouth und Kingswear an die Berghänge klammerten. Wir waren überwältigt. Hunderte von Segel- und Fischerbooten waren an Schwimmstegen und Bojen festgemacht, die Sonne schien und zu allem Überfluss fuhr am Ostufer auch noch ein alter Dampfzug durch die Wälder. Dies würde auf jeden Fall der Ort werden, an dem wir auf unser persönliches Wetter für die Biscaya warteten. In der Noss- Marina bekamen wir einen Liegeplatz mit allem drum und dran, sogar Badewanne im Sanitärgebäude und der Chef der Marina erklärte sich sofort einverstanden uns einen guten Preis zu machen. Wie der aussieht, wissen wir noch nicht. Seine Worte: „Wir schreiben erst mal nichts auf. Wenn ihr losfahrt kommt ihr einen Tag vorher zu mir und dann mach ich euch einen guten Preis.“
Anschließend erstmal zwei Stunden hinlegen. Daraus wurden dann allerdings ganze 18 Stunden. Der Törn war anscheinend noch anstrengender als wir dachten. Die nächsten Tage vergingen dann mit Reparationen am Boot und dem Schreiben von Texten für Magazine und die Homepage.Doch auch die Umgebung wollte entdeckt werden. Wir streiften durch urige Wälder nach Greenway Gardens, dem einstigen Landsitz von Agatha Christie, besuchten Dartmouth Castle, das seit dem 15. Jahrhundert die Einfahrt beschützt und bummelten durch die Altstadt, wo wir uns Fish’n’Chips, Plumpudding und andere typisch englische Köstlichkeiten schmecken ließen. Schließlich waren wir ja auch ein bisschen im Urlaub.
An einem gemütlichen Abend wurden wir plötzlich von einem dumpfen Poltern im Bootsrumpf aufgeschreckt. Als Paul erschrocken nach oben hastete, staunte er nicht schlecht, als er ein kleines führerloses Motorboot am Heck unserer Amanda-Trabanthea treiben sah. Auf den ersten Blick tat sich die Frage auf, wie es den Weg zwischen all den anderen Booten hindurch gefunden hat, um dann ausgerechnet mit unserem zu kollidieren. Auf den zweiten Blick tat sich die viel größere Frage auf, wo dieses Boot hergekommen sein könnte. Es sah aus, als hätte es Jahre lang im Wald gelegen. Es war über und über von Moos bedeckt, Grassoden wuchsen im Führerstand und die Persenning hing zerrissen ins Wasser. Erleichtert stellten wir nach einem beherzten Blick ins innere fest, dass der Besitzer (oder das was eventuell von ihm übrig war) nicht wie befürchtet in der Kajüte lag. Nachdem wir es zusammen mit einem Mitarbeiter der Marina ordentlich vertäut hatten, war auch sein Kommentar nur: „A Ghostboat!“
Insgesamt 16 Tage lang warteten wir darauf, dass das Wetter uns endlich den Sprung in den Süden würde machen lassen und nach drei Fehlalarmen war es dann endlich so weit, ein stabiles Hochdruckgebiet kündigte sich an.
Ohhhh, ab in den Süden…
Wie bereits in Norwegen verabredet, kam in Dartmouth Reise Linn Charlottes Vater Per an Bord, um uns bei dem vermutlich härtesten Teil unserer Reise zu unterstützen. Wie viele Warnungen hatten wir nicht erhalten, wie viele Geschichten gehört von Seglern, die zu spät losgefahren sind und daher in England überwintern mussten. Und nun dass: Nachdem wir alle drei unsere anfängliche zweitägige Seekrankheit überwunden hatten, wurde die Biscaya zu dem bisher entspanntesten Teil unserer Reise. Stabiler, teilweise sogar zu schwacher Rückenwind, Sonnenschein und spielende Delphine vor dem Buk. Nach viereinhalb Tagen erreichten wir La Coruña und waren froh, unsere größte Angstetappe so unspektakulär hinter uns gebracht zu haben. Nach einer zweitägigen Pause in La Coruña, wo wir mit einem Restaurantbesuch Linn Charlottes Geburtstag feierten, sah unser Plan vor, uns wie in England an der iberischen Küste hinunter zu hangeln und dann in Lissabon Per von Bord gehen zu lassen. Er würde seinen Heimflug antreten und wir würden zu zweit den großen Schlag nach Gran Canaria wagen. Aber wie das immer so ist, erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Wir legten an einem Sonntag Morgen mit einer sechs aus Nordwest ab und hatten vor, bis zum nächsten Tag nach Vigo zu segeln, wo wir das nächste Schlechtwetter abwarten wollten, das für Dienstag angekündigt war. Den Kurs hatte Paul dicht unter Land gewählt, um nicht länger als notwendig unterwegs zu sein. Nachteil daran war, dass die Dünung ziemlich kurz und ruppig war und die Segelei trotz achterlichem Wind ungemütlich machte. Nach ungefähr vier Stunden folgte der Kommentar von Per, der alle geschmiedeten Pläne über den Haufen werfen sollte: „Es wäre doch ganz lustig, gleich bis nach Madeira weiter zu segeln…“ Pauls Antwort: „Nach Madeira wäre es eine Woche. Warum nicht noch zwei Tage dranhängen und gleich nach Gran Canaria?“ Wasser und Essen hatten wir mehr als genug an Bord und Diesel hatten wir seit England so gut wie gar nicht verbraucht. Also gesagt getan. Nach zwei Telefonanrufen, Per nach Norwegen, um noch ein paar Tage frei zu bekommen und Paul nach Deutschland, damit niemand einen Suchtrupp losschickt, legten wir den Kurs um und hatten nun statt hundert gute eintausend Seemeilen vor uns. Die ersten drei Tage dieser Tour waren wie im Bilderbuch. Stabiler achterlicher Wind sorgte für eine Durchschnittsgeschwindigkeit von sechseinhalb Knoten, unsere Seekrankheit hatten wir durch den nur kurzen Aufenthalt in Spanien gut im Griff. Die Delphine statteten uns weiterhin allabendlich einen Besuch ab, nachts bekamen wir das erste Mal Meeresleuchten zu sehen und am dritten Tag fanden wir sogar einen fliegenden Fisch an Deck. Es kam so richtig Weltumsegler-Feeling auf und wir begannen leichtsinniger Weise schon einmal Pläne zu schmieden, was wir mit der gewonnenen Zeit in Las Palmas anfangen sollten. Schließlich waren wir 1,5 Knoten schneller als gedacht und wenn es so weiterging kämen wir fast zwei Tage früher an als gedacht. So etwas macht man einfach nicht!!! Unsere Amanda-Trabanthea schien unsere Gespräche belauscht zu haben und hatte gleich ein paar tolle Ideen parat, um Langeweile auf Gran Canaria gar nicht erst entstehen zu lassen. Ein Riss im Unterliek der Genua, den wir in La Coruña notdürftig geflickt hatten, riss noch weiter auf, so dass wir gezwungen waren, die Genua zu reffen. Daraufhin bohrte eine Klemme unter der Saling ein Loch ins Großsegel, woraufhin auch dieses gerefft werden musste. Aber anscheinend waren wir auch mit dieser verkleinerten Segelfläche noch immer irgendjemandem zu schnell. Nach zwei Tagen Gegenwind, der uns gut siebzig Meilen in Richtung Afrika vom Kurs abbrachte, stellte Paul bei einer Kontrollrunde an Deck fest, dass der Lümmelbeschlag (das Ding, mit dem der Baum am Mast festgemacht ist) zerbrochen war, also musste das Großsegel ganz runter. Wir waren also gezwungen, den Rest der Reise lediglich mit gerefftem Vorsegel zurückzulegen, was natürlich jeden Traum einer vorzeitigen Ankunft gründlich zerstörte. Der Missmut über diese Rückschläge war jedoch schlagartig vergessen, als am achten Tag unserer bisher mit Abstand längsten Etappe nach Sonnenuntergang am Horizont die Lichter von Las Palmas am Horizont auftauchten. Wie überdimensionierter Weihnachtsschmuck hob sich Gran Canaria aus dem Meer und füllte die letzten dreißig Seemeilen mit freudiger Erwartung, gleich wieder Land unter den Füßen zu haben. Als wir dann gegen halb zwei morgens anlegten, erwies sich dieser feste Boden als eine schwierige Angelegenheit. Nach über eine Woche, die wir liegend oder sitzend verbrachten, waren die Schritte an Land ungewohnt anstrengend. Als Gegenmaßnahme nahmen wir dann wieder im Cockpit platz und genossen vor dem Schlafengehen noch ein kaltes Bier, um das fehlende Geschaukel auszugleichen.
Wir hatten es geschafft. Trotz aller Warnungen und finsterer Prognosen, trotz schlechtem Wetter im Ärmelkanal und einer Überquerung der Biscaya im November waren wir auf den Kanaren, unserem Tor zur Karibik, gelandet. Hier würden wir nun erst einmal Ferien machen, in Badehose und Bikini endlich den Beginn des längsten Sommers unseres Lebens feiern und unser Boot zur wirklich großen Tour klarmachen, der Überquerung des Atlantiks. Diesmal sind wir jedoch wesentlich gelassener, dank des Kommentars einer freundlichen Norwegerin, die wir hier getroffen haben:
„Nachdem was ihr jetzt alles durchgemacht habt, ist der Rest schönes Sonntags-Segeln!“
Mit dieser Aussicht wünschen wir allen Lesern ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr!